Diary

Madonna-Hure

Ein Thema, welches uns am WE beschäftigt hat und über das auch immer wieder unter Sklaven gesprochen wird: wie weit darf eine Herrin gehen, wie berührbar darf sie sein, was darf sie alles zeigen, machen, tun?

Wir sind eine Runde von Mädels zwischen 18 und 35 Jahren. Dominas, Freunde, Smlerinnnen. Location: LiLaBe in Hamburg. Hier wird gefeiert, getanzt und gelacht. Nash trägt ein Politessen Outfit, ich bin eine Waitress. Ein Hausmädchen – und dann so freizügig? Ich? Die unberührbare Lady Janis in einer devoten Rolle? Ja! Es ist Fasching und ALLES ist erlaubt! Ich unterhalte mich mit einer älteren Dame um die 35 über ihr Studio. Sie sagt, sie sei eine berührbare Herrin. Heißt, dass sie hin und wieder auch Sex mit ihren Sklaven hat. Etwas, was für mich nicht in Frage käme. Aber ich bin neugierig und lausche ihren Worten. Ich spüre und erkenne ihre Leidenschaft für die Szene. Sie zeigt mir Fotos auf ihrem iPhone von ihrer Traumlocation in Hamburg. Ein Gewölbekeller mit allem Firlefanz, was eben dazu gehört. Sie trägt eine knallenge Latex-Corsage und ihre üppigen Brüste quellen jedem entgegen, der Augen im Kopf hat. Sie ist ein Vollweib, durch und durch. In unserem Gespräch erfahre ich, dass sie jahrelang als Juristin gearbeitet hat. Sogar ihre Kanzlei ist mir ein Begriff, da mein Vater mit zwei ihrer ehemaligen Partner befreundet ist. „Ich konnte nicht mehr. Es mag wie ein Klischee klingen, aber ich bin ausgestiegen. Ich wusste immer, dass ich eine Herrin bin und dass ein null-acht-fuffzehn Job nichts für mich ist. Ich hab dann all mein Herzblut in dieses Studium gesteckt. Manche Subbie sind sehr attraktiv. Weshalb sollte ich sie nicht benutzen? Hallo? Ich bin eine Frau, keine geschlechtslose Barbiepuppe! Aber eben nur die, die ICH dafür aussuche. Ich bin die Herrin und habe IMMER die Wahl.” Und nun kommt die Frage, die mich beschäftigt: Sie lebt davon. Lässt sich für ihre Sessions bezahlen. Ergo auch für die Sessions mit den Lustdienern. Ist sie eine Herrin oder eine Hure?

Gegenfrage: Ist ein Künstler, der seine Bilder verkauft, eine Hure, weil er VERkauft? Ist ein Schauspieler eine Prostituierte? Oder ein Arzt? Oder ein Bäcker?” Sie grinst mich an. Alles an ihr ist authentisch und ehrlich.  Wann beginnt man sich tatsächlich zu VERkaufen? Und diese Frage wird noch an diesem Abend für mich aufgeklärt. Nashi und ich tanzen. Es ist eine Show, die wir mal wieder abziehen. Ausnahmslos alle Männer glotzen uns an! Und ja: wir SIND sexy und zeigen das. Die verwöhnten Upper-HH Gören im shabby LiLaBe. Und wir genießen es total! Freiheit und einfach mal loslassen und nicht auf diesen steifen Veranstaltungen rumhängen, wo es die ganze Nacht Schampus for free für uns gibt und neuerdings über Börse und Co. gequatscht wird! Ähhm…Ich bin noch nicht mal Mitte 20!

Wir ziehen noch weiter an diesem Abend. Kiezen gehn! Als wir bei Burger King eine Pause machen und den Luxus-Lippen eine Runde Schlick gönnen, wird es mir klar: ich blicke aus dem Fenster. Da lehnen sie. Junge Mädels in meinem Alter, mit Bauchtaschen und Moonboots. Ihre Gesichter sind wie versteinert. Kein Lächeln huscht über ihre Gesichter. Nur dann, wenn potentielle Freier ihren Weg kreuzen, verbiegen sie sich zu einem Grinsen. Man spürt auch ohne viel Empathie, dass sie hassen, was sie da tun. (die 4, die da vorm Fenster stehen, tun es jedenfalls!) In dem Moment öffnet sich die Schiebetür und ein Bankertyp betritt mit 2 Kollegen den Burger-Laden. Schnell bestellen, schnell ans iPad, schnell auf die Uhr gucken, schnell runterschlingen, was auch immer, kurz reden, und dann stehen sie schon wieder auf und haben, ich kann es kaum glauben, genau den SELBEN Gesichtsausdruck auf ihren Lippen wie die Huren, die draußen am Fenster lehnen! Es macht absolut KEINEN Unterschied, nur, dass sie wahrscheinlich für das, was sie hassen, besser bezahlt werden.

Ich denke an die Domme aus dem LiLaBe. Sie war so ausgeglichen. Sie ruhte absolut ins sich und tat nur das, was SIE wollte. Und ich finde das wundervoll. Die BDSM Szene ist manchmal  spießiger als die normale Gesellschaft: Eine Domina darf nicht berührbar sein, sonst ist sie keine Domina. Eine Domina darf  kein Geld für eine Session nehmen, sonst ist sie eine Hure. Eine Domina darf nichts machen, außer eine Domina zu sein. Ich könnte es unendlich fortführen und finde es dabei so lächerlich plump. Das beginnt ja schon mit dem „eine Domina darf nicht”.  Eine Domina „DARF” vor allem! Und sie TUT ES!  Dominas STEHEN IN ALLER ERSTER LINIE über ALLEM und ALLEN! Sie dürfen machen, was SIE wollen! Es geht doch um Lust, oder etwa nicht? Um Fetisch, Kontrolle, Kontrollabgabe, Macht und Spaß!  Es geht doch um das, was kickt.

Wie oft habe ich selber Sklaven erlebt (sogenannte…), die meinten MIR Vorschriften machen zu können. „Sie zeigen zu viel im Netz”.  „Es geht Ihnen ja doch nur ums Geld.” Bla bla bla bla.

Ich erwarte von NIEMANDEM, dass er meine Art Sex versteht. Aber ich erwarte, dass man sein Leben lebt und leben gelassen wird. Dass jeder genau das tut, was er will und was er liebt. Ich bin zum Glück nicht in der Position mich rechtfertigen zu MÜSSEN, aber aufklären möchte ich.

Lasst euch nicht einengen in eurem Fetisch, eurer Lust, eurem Exhibitionismus! Schon gar nicht in der sogenannten Szene! Leute: Die Gesellschaft da draußen ist schon spießig genug! Bauen wir uns nicht eine zweite auf! Die kann niemand gebrauchen!

Ich bin und bleibe Janis! Janis, die shoppen geht, bis ihre Kreditkarte glüht (oder eben die von einem Sub). Ich bin Janis, die auf Partys tanzt, bis ihre Louboutins die rote Farbe verlieren! Ich bin Janis, die sich eine Melkmaschine zu IHREM Vergnügen eingerichtet hat. Ich bin Janis, die Verantwortung in ihrem Beruf hat (den sie übrigens ebenso liebt und niemals missen möchte, obwohl er nichts mit SM, Sex, Szene oder sonst was zu tun hat). Ich bin Janis, die ohne mit der Wimper zu zucken einem Sklaven in der Umkleidekabine in die Eier tritt, bis er sich auf dem Boden windet. Ich bin Janis, die bei rosa Süßigkeiten ausflippen kann vor Glück. Ich bin Janis, die es mag Tabus zu brechen und Leute vor den Kopf zu stoßen! Ich bin Janis, die keinerlei Kompromisse machen will. Ich bin Janis und ich habe eine Sexualität, die ich lebe, weil ich es will! Trotzdem bin ich unberührbar, nicht käuflich, nicht buchbar, unbezahlbar – einfach ICH selber!

Lady Janis!